http://wohininhamburg.wordpress.com

Donnerstag, 22. Januar 2015

[mfoc] SCIENCE FICTION PARK BRD

 


Sonntag 25. Januar MFOC/ Golden Pudel Club

Schon ab 20:00 Uhr !!

SCIENCE FICTION PARK BRD 

German Homerecording Tape Music of the early 80s. Lärmfieber aus dem Wohnzimmer

Record release party with film screening, live music by: 

Andy Giorbino
Günter Bernas 
Frank Schröder
Pierre Godot

And DJ sets by Doug Shipton (Finders Keepers), Booty Carrell (B- Music) and Felix Kubin (Gagarin Records) 



Im Sommer 1982, irgendwo in einem Ferienhaus im bayerischen Wald, sitzt ein 13-jähriger Junge mit seinem Bruder auf dem Sofa und starrt auf den Fernseher. Das, was er da zu sehen bekommt, wird sein Leben verändern. In kurzen, revue- artigen Sequenzen springen kostümierte junge Leute vor gemalten Hintergründen herum. Sie singen spartanisch ausgeleuchtete Tulpen an, verrenken sich unter schwarzen Gummilaken und bügeln mit verklebten Augen auf leeren Brettern. Manchmal stehen sie auch nur da, starren verwegen oder energiesparend in die Kamera, und aus ihren steifen Mündern dringen rätselhafte Texte im Sprechgesang. Das ganze Spektakel scheint direkt vom Mars zu kommen. Die Musik, die dazu erklingt, ist so radikal neu, dass es dafür noch keine Fachbegriffe gibt. Vor allem ist sie ungewohnt schräg, minimalistisch und elektronisch. Garniert wird die erstaunliche Darbietung durch vier laienhafte Tänzerinnen, die den Musikern offenbar von der Sendeanstalt verordnet wurden. Nichts passt zusammen, doch die Mischung ist genial. Das Gebaren der Gruppen ist so unerhört modern und kompromisslos, dass der Junge vor dem Fernseher sich immer wieder vergewissern muss, nicht zu träumen. Auf diese Musik hatte er jahrelang gewartet. Dies ist seine Musik, und sie löst in ihm eine Initialzündung aus. Sein kleiner Bruder ist dazu verdonnert, die Namen der Bands mitzuschreiben: Palais Schaumburg, der Plan, Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Lorenz Lorenz, der Körper und die Seele....man kann sich vorstellen, was am Ende auf dem Zettel steht.

Daheim in Hamburg beginnt der Junge, wie im Fieber mit Synthesizer, Heimorgel, Stimme und Kassettenrekorder herumzuexperimentieren. Er ist nicht der einzige, der gerade Versuche in dieser Richtung unternimmt. In der ganzen Bundesrepublik brodelt es. Eine neue Form der Hausmusik entsteht. Sie hat nichts mehr mit geigenden Kindern, kratzigen Pullovern und gescheitelten Verwandten auf dem Sofa zu tun, sondern bündelt Ängste und Abgründe der Industriegesellschaft. Ausgerechnet diese Industrie stellt der wütenden Jugend dafür die Werkzeuge zur Verfügung: billige Casio-Keyboards, Synthesizer, Drumcomputer und 4-Spur-Kassettenrekorder. Plötzlich kann sich jeder seine

eigenen Produktionsmittel beschaffen, um damit wiederum gegen die Industrie zu protestieren. Was ist denn hier los? Marx Paradox? Autosubversion? Diese Polyphonie kreativer Aggression, die da mit einem Mal auf die Industriebosse zurollt und sich mit genresprengendem Spieltrieb Bahn bricht, haben sich die Herren Elektroingenieure nicht vorstellen können – ganz zu schweigen von den unglaublichen Texten! Kostprobe gefällig?

„Tosende Wolkenbabies
fahren in winzigen Motorbooten suchend über den Fluss
Und sie haben Scheinwerfer,
suchen ab das Ufer,
suchen Dich und mich
Und sie haben Schweinwerfer
und Kameras dabei"
(Andy Giorbino, „Stadt der Kinder")

„Ich sag ja, ich sag nein
Ich schalt aus, ich schalt ein Mein Ich strahlt aus
Mein Ich strahlt aus
Nein, Ja - Nein, Ja
Dreh mich auf
Dreh mich zu"
(Holger Hiller, „Ja Nein")

Gerade im neurotischen Deutschland, das durch seine düstere Nazi- Vergangenheit und die nachfolgende deutsch-deutsche Teilung viele Leichen im Keller angesammelt hat, fällt der Vorstoß der Elektronikindustrie auf fruchtbaren Boden. Das 4-Spur-Kassetten-Studio wird zum Medium des kollektiven Unterbewusstseins, wird Schießscharte, Blitzableiter und magnetischer Zeuge der Angst vor einem drohenden Atomkrieg. Dazu entstehen die meisten Kassettenaufnahmen ohne Strategien und Verwertungsabsichten. Es sind Eruptionen aus dem Krater einer Gesellschaft, die sich im Deutschen Herbst einer gescheiterten RAF-Bewegung festgefahren hat. Alle warten...nur auf was? Auf den Weltuntergang, der sich im Rüstungswahn anbahnt? Auf eine neue Jugendbewegung? Eine neue Eissorte?
Alfred Hilsberg, Gründer des wohl berühmtesten deutschen Independent-Labels Zick Zack, sieht das so: „In Deutschland gab es nichts. Es gab überhaupt keine richtige Musikkultur. Also haben die Leute hier – angeregt durch die Punkbewegung in England - angefangen, etwas Eigenes zu entwickeln. Das war

eine reine Überlebensstrategie."

Die landläufige Meinung, der Deutsche müsse zum Lachen in den Keller gehen, findet hier endlich seine konkrete Umsetzung. Im Homerecording-Keller kann man unbeobachtet seinen angestauten Ängsten, Frustrationen, Aggressionen und bizarren Fantasien nachgehen. Die Unbedarftheit, mit der hier Frequenzen malträtiert und Worte ins Knie geritzt werden, fördert eine verblüffende Originalität zutage. Die neuen Helden sind Amateure der Schaltkreise, ihr Handeln ist impulsgesteuert und unberechenbar. Es gilt der Aktionsmodus des (Post-)Punk: schnell und auf den Punkt gebracht.

In ihren frisch gegründeten Heimstudios praktizieren die Protagonisten der neuen Untergrundmusik die "ungerichtete Aggression der befreiten Geräusche", wie es Frank Apunkt Schneider in seinem Buch „Als die Welt noch unterging" ausdrückt. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird sofort zum Instrument umfunktioniert: Ofenbleche, Kartons, Zimmerlampen, Spielzeug, Holzflöten, Trillerpfeifen, Dosen, Tabletts, Plattenspieler, ein Fernseher, eine Türklingel, ein Telefon. Aus den Wohnzimmern der Nation dringt ein Lärmfieber in die Welt, das auch vor Kinderzimmern nicht Halt macht. So entsteht zum Beispiel 1983 am Stadtrand von Hamburg eine in der Geschichte der Musik wohl einzigartige Szene experimenteller Kinderbands, die unter Decknamen wie „Universalanschluss", „Intensive Styroporsymbole", „Die Egozentrischen 2", „Der Leichenwäscher von Boberg" und „Rekronstruirtes Relativpronomen" (sic!) ihre Umwelt terrorisiert.

Zur gleichen Zeit ruft irgendwo in Süddeutschland ein Brüderpaar die Republik der „Kassettentäter" aus. Damit ist das Phänomen endlich aktenkundig. In konspirativer Runde debattiert man in der Küche:
„Wie sieht denn so der typische Kassettentäter aus?"

„Das sind ganz normale Leute."
„Also hat das nichts mit Untergrund zu tun?"
„Nur insofern, als kein Mensch ahnt, dass die Kassetten machen. Das sind meistens Einzelkämpfer".

30 Jahre später. Ich treffe mich mit Beate Bartel (CHBB) und Klaus Höppner (Cinéma Vérité) in Bo Kondrens Berliner Masterstudio. Die Augen leuchten. Bo dreht mit seinem Schraubenzieher am Gleichlaufregler des Tapedecks, um die Bandlage zu optimieren. Zu DDR-Zeiten gehörte er selbst zur Kassettenszene, damals in Ostberlin. Dort konnte man für die Verbreitung subversiver Musik schon mal in Untersuchungshaft landen. Kassetten mit nervigen Klängen in Umlauf zu bringen, war ein Akt politischen Ungehorsams.

Während die Zeit an den Wänden kondensiert, überlege ich, ob sich seitdem wirklich so viel verändert hat. Heute wie damals wird der Weltuntergang

prophezeit, heute wie damals schlagen sich die Völker die Köpfe ein, auch wenn die Demarkationslinie jetzt nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen Koran und Bibel verläuft. In der Wirtschaft wird nach wie vor Geld mit Geld verdient und schwierige Musik läuft nicht im öffentlich-rechtlichen Radio. Der größte Unterschied ist vielleicht, dass die alten Distanzierungstechniken der 80er Jahre einem permanenten Schulterklopfen gewichen sind: "I like". Immer hoch mit dem Daumen, ihr seid alle meine Freunde. Alfred Hilsberg findet das nicht so gut: "Die Leute sind heute durchs Internet so vernetzt wie nie zu vor, aber sie bleiben isoliert. Man bekommt kein echtes Feedback mehr, das einen ermutigt, sich mit anderen zu treffen. Die Independent-Bewegung der späten 70er und 80er war bestimmt durch soziale Energie."

Hier sitzen wir also zusammen, im wiedervereinigten Deutschland, überwältigt von der Originalität und Aktualität der alten Aufnahmen. Hier waren Triebtäter im Dienst des kakophonischen Weltgeistes zugange, die trotz aller düsteren Umstände den Optimismus des „Noch leben wir, tot seid nur ihr!" im Herzen trugen. Oder wie es die Düsseldorfer Gruppe „Der Plan" so trefflich ausdrückte: „Die Welt ist schlecht, das Leben schön!"

Und was ist aus dem 13-jährigen Jungen geworden, der damals vor dem Fernseher saß? Der hat seit 25 Jahren keinen Fernseher mehr und schreibt gerade diese Zeilen. Seine Begeisterung für die Kassettenszene ist bis heute dieselbe geblieben. Und während er die Stücke für diese Kompilation zusammenstellte, musste er sich immer wieder in den Arm kneifen.

Felix Kubin, 17.2.2013 



__._,_.___

Gesendet von: =?iso-8859-1?Q?Ralf_K=F6ster?= <ralf@mfoc.de>
Antworten Auf der Website Antworten an Absender Antworten an Group Neues Thema Beiträge zu diesem Thema (1)

.

__,_._,___

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen